„Um Sehnen, Gefäße, Nerven und Knochen zu rekonstruieren, sind nicht selten bis zu zehnstündige Operationen notwendig, häufig auch noch weitere Folgeeingriffe“, sagt Prof. Dr. Dr. Michael Sauerbier, Präsident der DGH. Daher seien die OP-Teams um die Jahreswende meist doppelt besetzt. In einfachen Fällen handelt es sich um oberflächliche Verbrennungen. Schwerwiegend sind offene Weichteilverletzungen, tiefe Verbrennungen, Verletzung von einem oder mehreren Fingern sowie die Zerstörung der ganzen Hand. Ärztinnen und Ärzte können immer wieder beobachten, dass die meisten komplexen Handverletzungen durch selbst gebastelte Böller verursacht werden. „Wir raten dringend, die Hände von nicht-zertifizierten Feuerwerkskörpern zu lassen“, ergänzt Sauerbier.
Generell gilt von DGH und DGOU für sicheres Böllern:
- Kaufen Sie Feuerwerkskörper nur im Fachhandel! Lesen Sie die Gebrauchsanweisung sorgfältig und achten Sie auf das CE-Zeichen und die BAM-Prüfnummer (Bundesamt für Materialprüfung).
- Am besten nur Feuerwerkskörper verwenden, die nicht in der Hand gezündet werden müssen.
- Verwenden Sie keine selbst gebastelten oder manipulierten Feuerwerkskörper. Sie sind besonders gefährlich, da sie zu früh oder viel stärker explodieren können als erwartet.
- Lagern Sie Feuerwerkskörper verschlossen und in sicherem Abstand, keinesfalls jedoch am Körper.
- Wenn Sie Alkohol getrunken haben: Hände weg von Feuerwerkskörpern. Alkohol macht unvorsichtig.
- Feuerwerkskörper, die nicht explodiert sind, nicht noch einmal zünden. Am besten sammeln Sie solche ein und entsorgen sie. Damit schützen Sie Kinder und Jugendliche, die am Neujahrstag Blindgänger sammeln und nachzünden.
- Knaller und Böller sollten für Kinder und Jugendliche tabu sein.
Weitere Verletzungen an Neujahr
Am 1. Januar gibt es noch eine zweite Welle an Notfällen: Verletzte mit Folgen von alkoholbedingten Stürzen wie Knochenbrüche oder Scherben in den Händen erscheinen in den Notaufnahmen der Kliniken. Auch Kinder und Jugendliche kommen ins Krankenhaus: Sie verletzen sich, wenn sie versuchen, an Neujahr beim Blindgänger-Sammeln herumliegendes, nicht abgebranntes Feuerwerk anzuzünden. Zudem erkennen viele Betroffene das Ausmaß einer schweren Böllerverletzung erst nach Silvester. „Das verminderte Schmerzempfinden durch Alkoholgenuss und das eingeschränkte objektive Beurteilungsvermögen führen dazu, dass selbst schwerwiegende Verletzungen zunächst als Bagatelle abgewertet werden. Auch verharmlosen viele die Situation, weil es ihnen peinlich ist, dass man sich ungeschickt angestellt hat, übermutig war oder man einfach weiterfeiern will“, sagt Seekamp. Er weist darauf hin: „Eine verschleppte medizinisch erforderliche Behandlung erhöht die Infektionsgefahr der Wunde und vermindert die Chancen, dass verletztes Gewebe wiederhergestellt werden kann.“ Daher wäre es eine Überlegung wert, im Freundes- oder Bekanntenkreis eine Person auszuwählen, die so nüchtern bleibt, dass sie die Lage realistisch beurteilen und bei Bedarf Hilfe koordinieren kann.
Denn auch wenn die rekonstruktive Hand- und Mikrochirurgie sehr viel leisten kann, indem Spezialisten abgetrennte Gliedmaßen unter Zuhilfenahme mikrochirurgischer Techniken unter dem Operationsmikroskop wieder annähen können und zerstörte Knochen, Sehnen, Nerven und Gefäße wiederherstellen, bleiben nach schweren Verletzungen oft Funktionseinschränkungen zurück. „Nicht selten sind im Behandlungsverlauf ergänzende funktionswiederherstellende Operationen zur Verbesserung der Lebensqualität und Arbeitsfähigkeit notwendig“, ergänzt Sauerbier.
Verletzte Patienten überwiegend Männer
Bundesweite Statistiken über Böller-Verletzungen an Silvester gibt es nicht. Das Unfallkrankenhaus Berlin (ukb) allerdings legte im Dezember 2023 eine Silvester-Statistik vor, in der Handchirurgen Daten aus rund zwei Jahrzehnten ausgewertet haben. Darin heißt es: 97 Prozent der Bölleropfer sind Männer, die von 2005/06 bis 2022/23 je rund um den Jahreswechsel mit schwerwiegenden Handverletzungen stationär behandelt werden mussten. Insgesamt wurden am ukb in Marzahn laut der Auswertung im genannten Zeitraum knapp 1000 Menschen mit Verletzungen durch Raketen, Böller und andere Arten von Pyrotechnik behandelt.